Programm
Donnerstag, 14. September
Weimarhalle Großer Saal
Begrüßungsempfang
20:00 Uhr
In und mit der Ordnung des Todes leben – die Grenzgänge des Johann Sebastian Bach zu Beginn, in der Mitte, am Ende seines Lebens
Andreas Kruse
Die schöpferischen Kräfte Johann Sebastian Bachs in den letzten Lebensjahren - trotz stark ausgeprägter gesundheitlicher Einschränkungen - deuten auf die unterschiedlichen Entwicklungsprozesse hin, die im Alter auf der körperlichen Dimension einerseits, der seelisch-geistigen Dimension andererseits beobachtet werden können. Die von Karl Jaspers getroffene Aussage, wonach wir in Grenzsituationen unsere Existenz zur Klarheit bringen, lässt sich durch das Spätwerk Johann Selbastian Bachs eindrucksvoll veranschaulichen. Entscheidend für die seelisch-geistige Entwicklung auch in Grenzsituationen des Alters sind die verschiedenen Bindungen des Komponisten an das Leben - die Familie, die Schüler, die Musik, den Großen Gott -, schließlich auch die in jungen und mittleren Jahren eingetretenen Traumatisierungen, deren Verarbeitung Johann Sebastian Bach - wenn wir die Analyse aus der Perspektive der Resilienz-Forschung vornehmen - gelungen ist. Die innere Auseinandersetzung mit den zwei grundlegenden Ordnungen in unserem Leben - der Ordnung des Lebens, der Ordnung des Sterbens - in den verschiedenen Lebensaltern wird in dem Vortrag als eine bedeutsame Aufgabe für die Fähigkeit gedeutet, die eigene Endlichkeit allmählich anzunehmen - so schwer dies auch fällt.
Im Anschluss daran:
Sektempfang
Teilnahme für Kongressteilnehmer kostenfrei –
wir bitten um vorherige Anmeldung
Freitag, 15. September
Weimarhalle Großer Saal
Moderation: Beate Unruh
09:15 Uhr
Begrüßungen
09:30 – 10:30 Uhr
Unendlichkeit in der Beziehung zum Anderen.
Ein Beitrag zur Ethik der psychoanalytischen Haltung im Anschluss an Emmanuel Lévinas
Roman Lesmeister
Vor dem Hintergrund des in der Psychoanalyse der Gegenwart vorherrschenden Beziehungsparadigmas wird die Frage aufgeworfen, wie sich innerhalb eines totalisierten Verständnisses von Übertragung und Gegenübertragung die Position des realen Anderen bestimmen lässt. Im Hinblick auf die ethischen Aspekte der analytischen Haltung geht es dabei um die Wahrnehmung des Analysanden (Patienten) als Subjekt der Nicht-Inklusion, das „jenseits“ des Analytiker-Selbst angesiedelt ist und von dessen Zugriff auf symbolischer und imaginärer Ebene nicht umschlossen werden kann. Über die Konzeptualisierungen des Anderen bei Melanie Klein und Jacques Lacan hinausgehend, orientiert sich der Beitrag an der Beziehungsethik des jüdischen Philosophen Emmanuel Lévinas, die den Anderen in eine absolute Exteriorität, das heißt in einen unendlichen Abstand zum Selbst versetzt, dessen Begehren sich im Beziehungsraum der Unendlichkeit entfaltet und vertieft. Die Anforderungen, die sich aus dieser Sichtweise für die Haltung des Analytikers ergeben, betreffen den Umgang mit den paradoxalen Elementen des Verhältnisses von Abhängigkeit und Unabhängigkeit, das Ertragen traumatischer Momente von Unerreichbarkeit, Unterlegenheit und Fremdheit sowie die erhöhte Aufmerksamkeit für die Machtaspekte des eigenen (analytischen) Begehrens.
10:30 – 11:00 Uhr
Pause
11:00 – 12:00 Uhr
„Der schreckliche Tisch“, oder: der schöpferische Augenblick und andere transformative Ereignisse im psychoanalytischen Prozess.
Johannes Döser
Die klinischen Vignetten, die im Zentrum meiner Überlegung stehen, werfen eine Reihe von Fragen auf, die die psychoanalytische Krankheits- und Behandlungslehre auf die Ebene einer Poetologie rücken. Ihre Wurzeln reichen tief in die europäische Geistesgeschichte. So konzipierte Novalis mit seiner „Poetik des Übels“ eine Therapeutik des Traumatischen, welche als „Annihilation des Bösen“ die „Realisierung des Guten“ einzuführen und zu „verbreiten“ versuchte: „Alles Übel und Böse ist isolierend (Es ist das Prinzip der Trennung), durch Verbindung wird die Trennung aufgehoben und nicht aufgehoben – aber das Böse und Übel als scheinbare Trennung und Vereinigung, die nur wechselseitig bestehn, aufgehoben...Ohne Trennung keine Verbindung. Berührung ist Trennung und Verbindung zugleich. Zwei werden durch den Dritten getrennt und verbunden“.
Eine solche Therapeutik, die dem Anspruch folgt, „Wege zur Kreativität“ (Popitz) zu öffnen, setzt sich aus vielen Elementen zusammen. Wir sind angewiesen auf einen interdisziplinären Diskurs, um sie in ihrer Komplexität würdigen zu können. Diese Tagung lässt sich von Elias Canetti inspirieren, der zwar zu zentralen Thesen Freuds in kritischem Abstand blieb, aber doch ebenso wie Freud den schöpferischen Beitrag des Spiels und der Sprache zum Erhalt des Lebens in seiner ungeschmälerten Bedeutung zu würdigen verstand. Wenn Peter von Matt, einer der Herausgeber von Canettis „Buch gegen den Tod“, von den tänzerischen Bewegungen der Gedanken an den Grenzen des Menschlichen, vom Wechselspiel aus Sinn und Absurdität, von schöpferischen Ekstasen, abrupten Zündungen, kreativen Akkumulationen, Regressionen auf den flüchtig aufleuchtenden Moment, zerstreuten Gedanken und von plötzlichem Erkennen spricht, die dem farbigen, poetisch-spielerischen Zug in Canettis Plädoyer „gegen den Tod“ eine poetologische Grundlage verleihen, so finden sich hier bedeutsame Parallelen zu jedem psychotherapeutischen Prozess, der dem traumatisierten und eingeschüchterten Subjekt eine wirkliche emanzipatorische Entwicklung ermöglicht.
Und doch scheint es in der anthropologischen „Natur der Sache“ zu liegen, dass die Bemühungen der Psychoanalyse um eine metapsychologische Theorie lückenhaft bleiben mussten und die diversen Aspekte der Sublimierung, Transformation, Resilienz und schöpferischen Einsicht vergeblich zu einem einheitlichen Konzept zusammenzuführen versuchte. Die Frage nach den Entwicklungs-„Organisatoren“ (Spitz) im psychoanalytischen Prozess erfordert weitere Anstrengungen „einer Rebellion gegen die Endlichkeit“ und gegen das kapitulative Steckenbleiben im Konventionellen, zu denen diese Tagung aufruft. Die Frage nach solchen schöpferischen Entwicklungs-Organisatoren steht im Zentrum meiner Überlegungen und meiner Untersuchung.
12:00 – 13:00 Uhr
Transparenz, Teilhabe und introjektive Identifizierung
Karl-Albrecht Dreyer
Dreyer zeigt, dass und wie Ferenczi (1932/1933) die Grundlage für eine Auffassung der introjektiven Identifizierung legt, die Dreyer (2017) in seinem Buch „Transparenz und Teilhabe – Veränderungen in der psychoanalytischen und psychodynamischen Technik“ ausführlich darlegt: Die introjektive Identifizierung hat die wichtige Brückenfunktion zwischen dem Unbewussten des Analytikers und dem Unbewussten des Analysanden. Sie ermöglicht sonst nur schwer zu erreichende Erkenntnisse. Eine Haltung der Transparenz und Teilhabe ermöglicht dem Psychoanalytiker die Nutzung diskontinuierlicher Momente für den Behandlungsfortschritt: mittels seiner Gegenübertragung erspürt und entschlüsselt der Analytiker die wichtigen Diskontinuitäten. Diese Wahrnehmung und Entschlüsselung öffnet das Fenster zum Verständnis bedeutsamer, bisher verschlossener, unbewusster Interaktionssequenzen, die dadurch häufig zum ersten Mal kommuniziert werden können. Im Vortrag wird dieser Ablauf zuerst in schematischer Weise aufbereitet und anschließend durch klinisches Material anschaulich illustriert.
Ferenczi legte die Grundlagen in seinem wegweisenden Vortrag von September 1932: „Sprachverwirrung zwischen dem Erwachsenen und dem Kind“. Er war angefeindet, erkrankte an perniziöser Anämie und verstarb 1933 daran. Noch heute profitieren wir jedoch von Ferenczis Kreativität: zwar war seine Existenz endlich, seine – aus der Sicht der damaligen psychoanalytischen Entwicklung – rebellisch-revolutionären Gedanken setzten sich – wenn auch mit erheblicher zeitlicher Verzögerung – durch und befruchten unsere Klinik bis auf den heutigen Tag!
13:00 – 14:30 Uhr
Pause
ab 14:30 Uhr
Im Anschluss:
Interne Sitzungen
ab 16:00 Uhr
Mitgliederversammlung
Samstag, 16. September
Weimarhalle Großer Saal
Moderation: Susanne Walz-Pawlita
09:30 – 10:30 Uhr
„Optimierte Weiblichkeit als kollektive Todesabwehr – Die Inszenierung ewiger Jugend mittels Schönheitsmedizin“
Ada Borkenhagen
Spätestens wenn beim Blick in den Spiegel die ersten Falten um die Augen nicht mehr weggelächelt werden können, kommt die ernüchternde Erkenntnis, dass nicht nur die anderen, sondern man selbst auch altert. Und oft genug scheiden sich nun die Geister – in jene, die sich resigniert mit ihrem Schicksal abfinden und diejenigen, die der ewigen Jugend zwanghaft hinterherlaufen. Gibt es einen Weg dazwischen? Oder ist Entscheidung zwischen Selbstaufgabe und dem Streben nach permanenter Runderneuerung durch Botox und Schönheits-Operationen unerlässlich? Und warum ist es nicht nur für Hollywoodgrößen so schwer sich mit den Veränderungen des eigenen Äußeren im Verlauf des Lebens abzufinden. Warum wird besonders von Frauen ein „titanisches Sichaufbäumen“ gegen das Altern gefordert wenn sie nicht „unsichtbar“ werden wollen. Weil die Selbstästhetisierung des weiblichen Körpers tief in die Geschlechterdifferenz eingeschrieben ist, funktioniert das Bild der jungen schönen Frau wie ein Fetisch mit dem die größte Kastrationsdrohung „der Tod“ kollektiv abgewehrt werden kann. Dieser Verwandlung des weiblichen Körpers in ein alterslos schönes Bild mittels konservierender Schönheitsmedizin wie auch dem Imperativ des „Glatten“ des „Digitalschönen“ wird nachgegangen.
10:30 – 11:00 Uhr
Pause
11:00 – 12:00 Uhr
Zwischen der Illusion der Unendlichkeit und der Anerkennung der Restlaufzeit
Martin Teising
In diesem Vortrag geht es um das Wissen um die eigene Vergänglichkeit, das Ringen um die Anerkennung dieser Tatsache, sowie die Notwendigkeit dieses Wissen immer wieder zu verdrängen. An klinischen Beispielen, vorwiegend aus der Behandlung älterer Patienten, soll die Bearbeitung dieser Konflikte unter Einbeziehung der Generationenperspektive als zentrale Aufgabe der klinischen Psychoanalyse auch jüngerer Patienten dargestellt werden.
12:00 – 13:00 Uhr
„Endlich“ und „unendlich“ – wichtige persönliche und professionelle Sichtweisen?
Hartmut Radebold
Angesichts einer ständig prognostizierten und damit auch persönlich erhofften langen Lebenszeit zentriert sich der Begriff „Endlichkeit“ zunehmend auf das Lebensende, d.h. Sterben und Tod.
Dagegen begleiten uns die Worte „endlich“ und „unendlich“ von Kindheit an über den gesamten Lebensverlauf mit wechselnder Bedeutung – jeweils spezifisch geprägt durch unsere biographischen Erfahrungen. Zusätzlich können sie für unsere psychotherapeutische Arbeit wichtig werden, keinesfalls nur für die Gruppe der über 60Jährigen. Voraussetzungen dafür sind: die ständige Reflexion dieser eigenen Erfahrungen und der davon abgeleiteten Vorstellungen und Phantasien; die Bereitschaft sich diesem Thema zu stellen und den Mut diese Aspekte in der Therapie anzusprechen.
13:00 – 14:30 Uhr
Pause
Hinweis auf Parallelveranstaltungen (* PV) am Samstagnachmittag
Kurztitel | Ort | Uhrzeit |
Mehr erfahren PV 1.1 Kunst und Zeitlosigkeit | Weimarhalle Flügelsaal 1 |
14:30-18:00 |
Mehr erfahren PV 1.2 AG Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie | Seminargebäude Raum 3 |
14:30-18:00 |
Mehr erfahren PV 1.3 Philosophische und mythologische Zugänge I | Seminargebäude Raum 1 |
14:30-18:00 |
Mehr erfahren PV 1.4 Philosophische und mythologische Zugänge II | Seminargebäude Raum 2 |
14:30-18:00 |
Mehr erfahren PV 1.5 Forum Aus- und Weiterbildung | Weimarhalle Rangfoyer West 1 |
14:30-18:00 |
Mehr erfahren PV 1.6 Offene AG der Vertrauensleute | Seminargebäude Raum 5 |
14:30-18:00 |
Mehr erfahren PV 1.7 Forschung | Weimarhalle VIP-Lounge |
14:30-16:00 |
Mehr erfahren PV 1.8 Klinische Fragestellungen | Weimarhalle Flügelsaal 2 |
16:30-18:00 |
Mehr erfahren PV 1.9 Psychonalayse und Film | Weimarhalle Kleiner Saal |
14:30-18:00 |
Mehr erfahren PV 2.0 Onkologie, Palliativmedizin | Seminargebäude Raum 4 |
14:30-18:00 |
* PV 1.1 – Weimarhalle, Flügelsaal 1
Kunst und Zeitlosigkeit
Moderation: Kurt Höhfeld
14:30 – 18:00 Uhr
Giacomettis unendlicher Kampf um das Bild
Matthias Oppermann
James Lord schildert in seinem Buch „Alberto Giacometti – Ein Porträt“ (1997), seine Sitzungen bei Giacometti als Modell. Er beschreibt dabei Giacomettis künstlerischen Prozess, der ständig zwischen Verzweiflung, Zerstörung, dem drohenden Verschwinden des Bildes auf der einen und Neubeginnen auf der anderen Seite hin und her pendelt. Viele, viele Male hat der Künstler das Porträt gemalt und wieder zerstört. Lord erkennt schließlich: „Das Porträt hatte als Porträt keine Bedeutung mehr. Selbst als Gemälde scheint es nicht viel zu bedeuten. Was Bedeutung hatte, was einzig da war und ein Eigenleben besaß, war sein unermüdlicher, endloser Kampf...“ Wie in einem Wiederholungszwang muss der Künstler hier immer wieder etwas erschaffen, um es dann wieder zu zerstören und kann dabei zu keinem Ende kommen.
In dem Vortag soll ausgehend von dem Text von J. Lord untersucht werden, was der künstlerische Prozess, der sich hier zu einer Dynamik von einem Beginnen, Zerstören und Wiederbeginnen entwickelt hat, bedeutet und möglicherweise unbewusst beinhaltet.
Rebellion gegen die Endlichkeit – Rebellion gegen die Vergeblichkeit? Die „gute“ Geschichte aus Sicht von Psychoanalyse und Drehbuchtheorie
Christiane Schleid, Roland Zag
Angesichts des Todes wirkt es oft, als seien Lebensgeschichten unvollendet, unrund, unfertig: Der Tod verleiht vielen Biographien etwas scheinbar Vergebliches. Aus dem Drang, das Unfertige fertig zu machen, entsteht der Wunsch nach geschlossenen, nach „guten“ Geschichten mit einem sinnerfüllten Ausgang. Dies spiegelt sich auch im gegenwärtigen Medienschaffen. Speziell die heute hoch gehandelten TV-Serien mit ihren Folgen und Staffeln wirken hier paradigmatisch: sie imaginieren einerseits Unendlichkeit, gliedern sich aber doch in Bögen und bringen diese zum Abschluss. Auch die „gelungene“ Psychoanalyse arbeitet mit dem Bild der Wandlung. Während einer Therapie entwickelt sich eine anders erzählte Biografie, die es dem Patienten erlaubt, besser weiter zu leben. Wie bewegt sich die Psychoanalyse im Spannungsfeld zwischen dem Drang nach gerundeter Dramaturgie und der notwendigen Hinnahme des Endlichen, also scheinbar Unfertigen?
Unsere Veranstaltung kontrastiert repräsentative psychoanalytische Fallbeispiele mit theoretischen Ansätzen der aktuellen Drehbuchlehre.
Die Winterreise von Franz Schubert – Todesmetaphorik und Ewigkeitsphantasie.
Christel-Böhme-Bloem
Choreographisches Hören – basierend auf dem „Bad in der Pflegemusik der frühen Lebenszeit“ – ist der Schlüssel zum Erleben eines solchen Meisterwerkes – jede und jeder kann diese Fähigkeit in sich finden. Dabei transformieren Verdichtung und Verschiebung, die Werkmeister der kinästhetischen Semantik, eine kognitive Struktur in eine bedeutsame persönliche Szene den eigenen kinästhetischen Engrammen entsprechend.
Der Wanderer bei Wilhelm Müller und bei Franz Schubert kann als „Beckett'schen Figur“ aufgefasst werden. Samuel Beckett, ein großer Verehrer von Franz Schubert, war ebenso wie sein Analytiker Wilfred Bion überzeugt von der Bedeutung der „negativen Fähigkeit“, jener Möglichkeit, Zustände großer Unsicherheit und Zweifel auszuhalten, „ohne alles aufgeregte Greifen nach Fakten und Verstandesgründen“.
In der Winterreise ist Schuberts Liedkomposition an ihrem Gipfel der künstlerischen Entwicklung. Ihm liegen die Verse am Herzen, die er nicht begleitet, sondern die er sich kinästhetisch aneignet, so dass er ein Motiv analog zu jedem Gedanken und Gefühl erfinden kann, quasi absolute Musik geschöpft aus den Worten.
Im „Leiermann“, dem letzten Lied der Winterreise, tritt der Wanderer erstmals in einen mitmenschlichen Dialog, der bei der entscheidenden Frage „Wunderlicher Alter, soll ich mit dir gehn“ – im staunenden Anerkennen des Mitmenschen etwas wundersam Gemeinsames findet, vielleicht eine Ergriffenheit im Bion`schen O. Kinästhetisch kann dazu ein Fortschreiten auf einem endlosen Weg oder ein Wiederbeginn in Gestalt des ewigen Kreises assoziiert werden – „willst zu meinen Liedern deine Leier drehn?“ – Für Franz Schubert könnte die Idee der Unsterblichkeit der Musik im Raum stehen, den er hier eröffnet. Er arbeitete auf dem Sterbebett an den Korrekturfahnen zu Winterreise.
* PV 1.2 – Seminargebäude, Raum 3
AG Tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie -
Arbeitsgruppen zur Tiefenspychologisch fundierten Psychotherapie an psychoanalytischen Instituten stellen sich vor
Moderation: Bettina Mudrich, Erich Limmer
(max. 35 Teilnehmer)
14:30 – 18:00 Uhr
Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie lehren
Arne Burchartz, Helmut Leipersberger, Bernd Ochs-Thurner
Mitglieder der Forschungsgruppe für Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie“ am Psychoanalytischen Institut Stuttgart stellen ihre Arbeit vor.
Arne Burchartz, Helmut Leipersberger, Bernd Ochs-Thurner
Sie zeichnen die Entwicklung und Implementierung des Curriculums TP für EPs und KJPs in diesem Institut nach. Fragen dazu werden in der Diskussion vertieft. Anschließend werden in Kleingruppen exemplarisch Ausschnitte des Curriculums besprochen und Fragen zur didaktischen Umsetzung diskutiert, z.B. in Form von Rollenspielen und praktischen Übungen. Um folgende Bereiche kann es dabei gehen:
Indikation
Einleitung der Behandlung und Arbeitsbündnis
Handhabung der Regression und Übertragung
Umgang mit der begrenzten Zeit
Die Arbeit mit einem Fokus
Ressourcenorientierung
* PV 1.3 – Seminargebäude, Raum 1
Philosophische und mythologische Zugänge I
Moderation: Wolfgang Schwerd
14:30 – 18:00 Uhr
Laios und Lord Voldemort – Rebellion gegen die Endlichkeit
Leopold Morbitzer
Im Ödipus-Mythos versucht Laios seinen Sohn Ödipus zu töten, weil ihm das Orakel verkündet, „dass ihn das Schicksal treffen werde, durch den Sohn zu sterben“ (Sophokles). Das Orakel bringt das fact of life (Money-Kyrle) zum Ausdruck, dass jede Generation von der nachfolgenden verdrängt und ersetzt werden wird. Laios kann seine Vergänglichkeit aber nicht anerkennen und diesen Komplex konstruktiv lösen, sondern versucht seinem Schicksal zu entgehen. Diese Dynamik zwischen den Generationen behandelt auch ein moderner Mythos – Harry Potter von J. K. Rowling, bei dem ebenfalls ein prophezeiter Generationenwechsel eine destruktive Dynamik in Gang setzt. Wie beim Ödipus-Mythos ist es vertrauter, den Stoff aus der ödipalen Perspektive zu betrachten – der des jungen Zauberschülers Harry Potter. Der Vortrag widmet sich hingegen dessen Gegenspieler Lord Voldemort, der wie Laios in einer Rebellion gegen die Endlichkeit versucht, seiner Vergänglichkeit zu entkommen: „Ihr kennt mein Ziel – den Tod zu besiegen!“ (Rowling) Um zu verstehen, welche unbewussten Kräfte in Lord Voldemort wirksam sind, behandelt der Vortrag ein Stück Erwachsenenpsychologie, wie wir in der Mitte unseres Lebens mit der Unvermeidbarkeit des Todes umgehen.
Der postmoderne Sisyphos – Unser Alltag zwischen Auflehnung, Anpassung und Akzeptanz
Volker Münch
Zwar wird die Unerreichbarkeit des ersehnten irdischen Paradieses umso offensichtlicher, je mehr Technik wir erfinden, die diese Illusion aufrechterhalten soll. Diese Dynamiken des Konsumismus und des entgrenzten Finanzkapitalismus sollen der Ausgangspunkt der Überlegungen sein. Die Sage von Sisyphos, des nach A. Camus „glücklichen Menschen“, soll dann als Blaupause der Untersuchung der verschachtelten psychischen Schichten von Auflehnung, Anpassung und der Akzeptanz des jeweils Gegebenen dienen. Den Begrifflichkeiten des Opfers und der Demut soll nachgegangen werden. Die Analytische Psychologie in der Nachfolge C.G. Jungs beschreibt das Aufrechterhalten des Spannungsverhältnisses zwischen zwei Polen, hier der Realität und dem Phantasiegeschehen, als unabdingbares Agens, das psychisches Geschehen erst in Gang bringt. Dieses Konzept aus der Analytischen Psychologie von einem sowohl individuellen wie auf „Unendliches bezogenen“ Leben soll helfen zu verstehen, dass ohne Auflehnung gegen die Realität kein psychisches Leben und damit auch kein gesellschaftlicher Wandel, ohne Anpassung und Akzeptanz des Unvermeidlichen aber auch keine Entwicklung, die substantiell bereichernd wirksam wäre, möglich ist.
Versuche zur Unsterblichkeit in der psychoanalytischen Theorie der Organisation (Kets de Vries), bei N. Elias und in der Pathologie der Erschöpfungsdepression (Burnout).
Manfred G. Schmidt
Ausgangspunkt ist die Erfahrung von Kets de Vries (Gründungsmitglied der ISPSO International Psychoanalytic Study of Organizationns), dass bei Führungsleuten in Organisationen die Angst vor dem Tod eine oft wichtige und gleichermaßen unerkannte Rolle spielt. Er folgert daraus, dass diese Angst vor dem Sterben ein wichtiger motivationaler Faktor des Verhaltens von Führungspersonen ist („stealth motivator“). Dabei spielen Abwehrformen wie manische Abwehr, die Vermeidung der Planung der Machtübergabe und der sogenannte „Gebäudekomplex“ (edifice complex) eine wichtige Rolle. Dieser Komplex meint die Neigung von führenden Managern, unsterblich große Gebilde – oft auch reale Gebäude – errichten zu wollen.
Die Zeittheorie – Skizze von N. Elias hilft dabei zu verstehen, wie Führungspersonal versucht, ein „Zeitsetzungsmonopol“ in ihrem Bereich zu errichten was historisch gesehen früher die Priester und dann die Physiker innehatten. Wenn die Zeit-Effizienz-Maxime zum Monopol-Wert wird im Verständnis von Eliten verkümmern wichtige, besonders generationelle und kulturelle Differenzierungen.
Schließlich zeigt sich in der Pathologie der Erschöpfungsdepression – dem sogenannten Burnout – eine Aufhebung jeglicher Zeitgliederung – eine Pausenlosigkeit im Lebensvollzug, die u.a. zur depressiv erschöpften Symptomatik führt. Burn-out ist: „Über-Soll-Erfüllung“, in einer kumulativen Verflechtung individueller und institutioneller Faktoren.
Abschließend werden einige heilsam wirkende Faktoren beschrieben, die sich aus den psychoanalytisch- und organisatorischen Erfahrungen ergeben: sorgfältig abgestimmte, individuelle Zeitgliederung mit regelmäßig kleinen Pausen, Betonung der Selbstfürsorge hinsichtlich der Gestaltung von rhythmischen Alltagsabläufen mit klaren Grenzen – gewissermaßen im biblischen Sinne: „alles hat seine Zeit!“ Die Mäßigung der eigenen Ansprüchlichkeit ist ein weiterer heilsamer Faktor.
* PV 1.4 – Seminargebäude, Raum 2
Philosophische und mythologische Zugänge II
Moderation: Udo Porsch
14:30 – 18:00 Uhr
Rebellion gegen die Endlichkeit
Brigitte Görnitz
Bei Patienten kann eine Verleugnung oder auch die Äußerung der Angst vor dem eigenen Sterben zum Ausdruck kommen, zumeist aber ein tiefer und oft verzweifelter Schmerz wegen der Endlichkeit und der damit verbundenen Verluste, die sie selber erlebten und der nahe Bezugspersonen betraf. In hilfreichen Reaktionen der jeweiligen Therapeutin gehen stets auch deren eigenen Vorstellungen und Haltungen dazu ein. Sie werden daher sehr unterschiedlich ausfallen.
Bei einer Bearbeitung in der Therapie erkennen wir somit auch das psychische, soziale und kulturelle bis hin zum psychosomatischen Wirksamwerden, das mit den Vorstellungen über Endlichkeit verbunden ist. Diese Fragen sind oft nicht zu trennen von der Frage nach der Sinnhaftigkeit für das Leben des Patienten. Diese wiederum ist verknüpft mit den Beziehungen, die er nicht nur in und zu seinem Umfeld hat, sondern auch darüber hinausgehend bis zum kosmischen Ganzen, und mit den Bewertungen, die für ihn damit verbunden sind.
Der Astrophysiker und Nobelpreisträger Stephen Weinberg schreibt: „Das Bestreben, das Universum zu verstehen, hebt das menschliche Leben ein wenig über eine Farce hinaus und verleiht ihm einen Hauch von tragischer Würde“. Er zieht daraus den Schluss: „Je begreiflicher uns das Universum wird, um so sinnloser erscheint es auch.“ Ein Therapeut aus der Drogenberatung hingegen schrieb uns vor kurzem, wie erfüllend es für ihn ist, wie er immer mehr in der Lage ist, zu erkennen, wie alles zusammenhängt, wie es in Beziehung steht und wie wir selbst ein zugehöriger Bestandteil des kosmischen Ganzen sind.
Wie standen die Begründer des analytischen Zugangs zur Psyche zu diesem Problem?
Sigmund Freud gab den klugen Ratschlag: „Wenn du das Leben aushalten willst, richte dich auf den Tod ein.“ Für Freud ist der Tod das definitive Ende von allem. An anderer Stelle schreibt er dazu: „Der konservativen Natur der Triebe widerspräche es, wenn das Ziel des Lebens ein noch nie zuvor erreichter Zustand wäre“.
C. G. Jung sah auf den Tod anders als Freud. Er sprach offen davon, dass das Psychische nach seinen Erfahrungen nicht vollkommen und nicht ausschließlich raum-zeitlich lokalisiert sein müsse. So hat er auch davon gesprochen, dass das Psychische mit dem Tode nicht notwendig vollkommen beendet sein müsse.
Ein Grund für diese unterschiedlichen Ansichten dieser beiden Gelehrten kann auch u.a. in ihren verschiedenen naturwissenschaftlichen Weltbildern liegen. Freud kannte im Wesentlichen die klassische Physik, während Jung durch seine langjährigen Kontakte mit dem Physik-Nobelpreisträge Wolfgang Pauli viel über die Quantentheorie erfahren hatte, welche die moderne Naturwissenschaft grundlegend verändert hat.
Heute sieht man, wie eine kosmische, biologische und soziale Evolution immer wieder etwas vollkommen Neues, etwas nie zuvor Erreichtes entstehen lässt. Aus unstrukturierten Gaswolken entstehen Strukturen wie Sterne und Planeten, aus Nichtlebendigem entwickelt sich Leben, aus Unbewusstem entsteht Bewusstsein. Dazu können wir feststellen, dass dieser Evolution eine naturwissenschaftlich aufzeigbare Struktur zugrundeliegt, eine bedeutungsfreie Quanteninformation, welche alle diese Erscheinungen ermöglicht.
Wissenschaften, wie z.B. die Psychoanalyse, welche wissen, dass die innere Welt des Menschen eine wirkende Realität ist, haben bisher große Probleme, ihr Wissen in positiver Weise tatsächlich an die Naturwissenschaft anzuschließen. Die bloßen Aussagen über die Physiologie und die Geographie des Gehirns reichen dazu nicht aus. Die Quantentheorie ermöglicht nun heute, erstmals auch das Unbewusste und das Bewusstsein in ein naturwissenschaftliches Weltbild einzuordnen und damit der Hirnforschung wie auch der Psychologie eine gleichberechtigte Basis zu geben. Die daraus folgende Erkenntnis lässt die Einheit von Leib und Seele auch naturwissenschaftlich neu begreifbar werden.
Im Rahmen des damit möglich gewordene modernen Weltbildes können die Schlussfolgerungen von Freud und Jung erneut reflektiert werden und interessante und neue Vorstellungen eröffnen sich.
Eine rettende Idee des Todes?
Ruth Sandmann-Strupp
Tod als reine Negativität und Repräsentant des Realitätsprinzips verlangt nach Abwehr. Der schwer akzeptable Todestrieb ist eine überindividuelle Dynamis: Biologisch betrachtet beruht jede höhere Lebensform auf dem Tod anderer Lebewesen sowie früherer Generationen. Differenzierung bedingt Individualisierung und Endlichkeit auch im übertragenen Sinne: Ein unendliches Leben würde jeden Augenblick, jede Handlung entwerten. Es gäbe weder Intensität, Individualität, noch Würde, kein „Moi-ici-maintenant“, wie Freud implizit in „Die endliche und die unendliche Analyse“ herausgearbeitet hat. Wichtiges wird am Ende einer Therapie(stunde) ausgesprochen, kaum etwas ohne Deadline fertig. „Obwohl die Physikalität des Todes den Menschen zerstört, rettet ihn die Idee des Todes.“ (Yalom) Im Setting ist dies immer präsent: Die endliche Analyse, jede Analysestunde ist ein Einüben der Endlichkeit, die uns ins Da-Sein (Heidegger) bringt, ohne Vertrösten auf „später“ oder „jenseits“. Das entwertet weder die Stunden davor noch die therapeutische Beziehung, sondern verleiht beidem End-Gültigkeit, letztlich erst Bedeutung. Es ist nicht der Tod, der schlechte Wirkungen zeitigt, sondern der Versuch ihn zu verleugnen. Am äußersten Rand dieser Verleugnung steht das Selbstmordattentat, in der Wahl der Ziele offenbart sich der (geopolitisch durchaus begründete) Neid auf das Leben-können, die Lebenslust der Anderen. Lebenslust und Vergänglichkeit, Sein und Nichts gehören untrennbar zusammen.
Zeitlosigkeit als Verführung?
Andrea Schleu, Jürgen Thorwart
Ausgehend von der Vorstellung von Zeitlosigkeit im Unbewussten soll der Frage nachgegangen werden, welche Auswirkungen dieses Konzept bei der Berufswahl, bei der Entwicklung der beruflichen Identität und der Professionalität zeitigen. Das Spannungsfeld zwischen der eigenen Endlichkeit in der realen Welt und der (unbewußte) Phantasie von Unendlichkeit und Grenzenlosigkeit stellt sich sowohl als persönliche wie auch als professionelle Herausforderung dar. Ausgehend von kasuistischem Material des Ethikvereins wird der Umgang mit der Realität begrenzter Zeit und (un)erreichbarer Therapieziele in Behandlung, Ausbildung und Lehranalyse reflektiert und mögliche Schwierigkeiten auf dem Hintergrund von Selbstidealisierung, krisenhaften Entwicklungen bzw. Lebenssituationen und/oder Verleugnung von Krankheit, Alter und gesundheitlichen Einschränkungen diskutiert.
Rebellion für die Endlichkeit
Alfred Seitz, Friedhold Hempfling
Während die Rebellen "gegen die Endlichkeit" die Endlichkeit aufheben wollen zugunsten der unendlichen Fortdauer des Gleichen, wollen die Rebellen „für die Endlichkeit“ auftreten als Platzhalter für „das Andere“ – für „das ganz Andere“! Die Endlichkeit eröffnet die Chance, sie zu transzendieren und damit Raum für Neues und Anderes zu schaffen. Die „Rebellion gegen die Endlichkeit“ hat als Erkennungszeichen die Abwesenheit ihres dialektischen Gegenparts, der die ersehnte Unendlichkeit begrenzen, formen und qualifizieren würde. Das Gleiche wird formlos, es wächst zur gleichförmigen Masse, die sich immer mehr zu optimieren meint – wie die Gier nach Events, nach ständig neuer Erregung zeigt. Es bleibt sich aber gleich und perpetuiert immer nur seine Inhaltsleere. Die Rebellion, die sich für eine sich ihrer selbst bewusst werdende Endlichkeit einsetzt, gründet auf der dialektischen Negativität des Anderen u. gibt „Demselben“ Gestalt, Maß und Lebendigkeit gerade dadurch, dass sie nicht identisch ist mit dem Gleichen. So immunisiert die „Rebellion für die Endlichkeit“ gegen die Infektion durch die Wucherungen des Gleichen, die sich als Wachstum ausgeben, die statt produktiv zu sein, destruktiv sind, statt kommunikativ, bloß kumulativ. Die dialektische Negativität des Unbewussten ist es, die wir in den Dienst einer solchen Immunisierung gegen die ewige Wiederkehr des Gleichen stellen können.
* PV 1.5 – Weimarhalle, Rangfoyer West 1
Forum Aus- und Weiterbildung
Moderation: Bundeskandidatensprecher
14:30 – 18:00 Uhr
Psychoanalytische Identität im Spannungsfeld mit den PT-Richtlinien
Thomas Hartung
Psychoanalytische Identität im Spannungsfeld mit den PT-Richtlinien
Geht es um die Endlichkeit der Krankenkassenfinanzierung oder verendet die Psychoanalyse in den Richtlinien?
In Deutschland wird – anders als in anderen Ländern - Psychotherapie in gewissem Umfang von den Krankenkassen finanziert. Vielen von bietet die Arbeit als Kassenpsychotherapeut als "Brotberuf" ein relativ gutes Auskommen. Gleichzeitig wird vielen Patienten, die keine Analyse finanzieren könnten, so doch eine analytische Therapie ermöglicht.
Wenn wir als Psychoanalytiker im Möglichkeitsfeld der PT Richtlinien arbeiten und ausbilden wollen, geraten wir aber in ein spezifisches Spannungsfeld: Die Begrenzung der Kosten wird von den Krankenkassen nicht offen gehandhabt: Es gibt kein Konzept eines kassenfinanzierten „Sockels“ mit einer selbstfinanzierten Weiterführung. Stattdessen wird die Kostenbegrenzung über die Regularien der PT-Richtlinien geregelt, die tief in die Behandlungspraxis eingreifen. Z.B. wird suggeriert, dass eine analytische Therapie mit 240 Sitzungen erfolgreich abgeschlossen werden kann. Ist das nicht absehbar, solle man den Patienten gar nicht erst in Behandlung nehmen. Aber wer kann das von Anfang an absehen? Und was wird mit Patienten, die von einer längeren Behandlung doch profitieren können; aber die Behandlung darf nicht länger dauern, weil sie nicht selbst finanziert sein darf. Denn in der Reichsversicherungsordnung ist die Naturalleistung festgeschrieben.
Mein Beitrag untersucht die Auswirkungen dieser und anderer Aspekte der PT-Richtlinien auf Übertragung und Gegenübertragung in der analytischen Arbeit. Schwierigkeiten, die sich in der Ausbildungssituation ergeben, werden eingehend fokussiert.
* PV 1.6 – Seminargebäude, Raum 5
Offene AG der Vertrauensleute
Moderation: Dirk Hamelmann-Fischer
14:30 – 18:00 Uhr
Fehler – Behandlungsfehler – ethische Verfehlung – welche Unterschiede gibt es?
Auch auf der Tagung 2017 möchten die Vertrauensleute der DGPT wieder in einer offenen AG in einen Dialog mit den Mitgliedern treten. Nach einer Einführung werden wir Zeit haben, zum Thema „Fehler – Behandlungsfehler – ethische Verfehlung – welche Unterschiede gibt es?“ ausführlicher zu diskutieren. Die Teilnehmer können im Rahmen dieses Themas eigene Erfahrungen mit der Fragstellung und ethischen Grenzsituationen eingebringen, um jenseits von persönlichen und institutionellen Widerständen den professionellen Umgang mit Fehlern und Grenzverletzungen weiterzuentwickeln.
Alle Mitglieder sind willkommen. Wir freuen uns auch auf einen Austausch mit Vertrauensleuten der Institute, Mitgliedern der Schiedskommissionen, in den Kammern im ethischen Bereich tätigen Kollegen sowie Kandidaten.
* PV 1.7 – Weimarhalle, VIP-Lounge
Forschung
Moderation: Silke Wiegand-Grefe
14:30 – 18:00 Uhr
Integrative Gruppenpsychotherapie für Patienten mit Online-Sexsucht
Caroline Marx
Online-Sexsucht stellt die Schnittstelle zwischen suchtartigem Verhalten und einer perversen Gestaltung der Sexualität dar. Patienten mit diesen Symptomen suchen zunehmend therapeutische Hilfe. In dem Vortrag soll die Entwicklung eines integrativen-gruppenpsychotherapeutischen Manuals zur Therapie des Krankheitsbildes vorgestellt werden, in dem verhaltenstherapeutische (Orzack et al., 2006; Wölfling et al., 2013) sowie mentalisierungsbasierte Elemente (Bateman & Fonagy, 2008, 2016; Berry & Berry, 2014) kombiniert werden. Die Integration beider Therapieverfahren soll in einer Pilotstudie erprobt werden. Die Umsetzung des integrativen Behandlungsmanuals in die klinische Praxis soll diskutiert werden.
Psychodynamik in der analytischen Kinder- und Jugendpsychotherapie – Zusammenhänge mit Wirksamkeit der Behandlungen, Beziehungen und Symptomatik
Antje Masemann
Die Grundannahme dieser Arbeit ist, dass der therapeutische Prozess und die therapeutische Beziehung in der analytischen Kinder- und Jugendtherapie zur Internalisierung alternativer Objektbeziehungserfahrungen, zur (Weiter-)Entwicklung der innerpsychischen Struktur und zur Bearbeitung innerpsychischer Konflikte führen. Die hiermit einhergehende strukturelle Integration sowie die Veränderungen in den innerpsychischen Konflikten und dem affektivem Selbstbezug sollten sich auf die Möglichkeiten der Beziehungsgestaltung und Introsprektionsfähigkeit der Kinder und Jugendlichen und so in reziproker Weise auf die therapeutische Beziehung und den therapeutischen Prozess auswirken. Um diese Annahmen zu untersuchen, wird in dieser Arbeit im Rahmen von Mediationsanalysen die vermittelnde Kraft von Struktur, Konflikt und affektivem Selbstbezug auf den therapeutischen Prozess und die therapeutische Beziehung untersucht.
Die Untersuchung wird an den Daten der „Hamburger Studie zur Wirksamkeit psychoanalytischer Behandlung von Kindern und Jugendlichen“ durchgeführt, bei der zur Erfassung des strukturellen Integrationsniveaus, der innerpsychischen Konflikte und des affektiven Selbstbezugs der behandelten Kinder und Jugendlichen die Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik im Kindes- und Jugendalter (OPD-KJ) eingesetzt wurde.
Als multiaxiales Diagnoseinstrument ermöglicht die OPD-KJ die systematische und objektive Erfassung psychodynamischer Prozesse im diagnostischen und therapeutischen Kontext. Die OPD-KJ gilt als reliables und valides Instrument, das sich zudem Veränderungssensitiv zeigt. Anhand der vier Achsen der OPD-KJ können neben den Behandlungsvoraussetzungen auch die Dimensionen Struktur, Konflikt und Beziehungen zum Selbst sowie zu anderen erhoben werden. Die aktuelle Datenlage zeigt, dass sich das nach OPD-KJ diagnostizierte strukturelle Integrationsniveau, die innerpsychischen Konflikte sowie der affektive Selbstbezug von Kindern und Jugendlichen während ambulanter und stationärer psychodynamischer Therapien verändern und dass diese Veränderungen zudem eine prädiktive Kraft für den Therapieerfolg haben. Ob und in welchem Maß diese Veränderungen sich auch auf die therapeutische Beziehung und den therapeutischen Prozess auswirken, wurde bisher nicht untersucht. Hierin besteht das Ziel dieser Arbeit.
Mütterliche Mentalisierungsfähigkeit: wie Mütter über ihr Baby denken und wie dies die Beziehung beeinflusst
Lydia Y. Stuhrmann
Der Begriff der elterlichen reflexiven Kompetenz (engl.: parental reflective functioning) wurde im Jahr 2005 von Arietta Slade eingeführt und stellt die Mentalisierungsfähigkeit der Eltern dar, ihre eigenen inneren mentalen Zustände und die ihres Kindes in Verbindung mit Verhaltensweisen zu reflektieren. Vor allem in der vorsprachlichen Phase der frühen Kindheit stellt dies einen Schlüsselmechanismus dar, mit dem Eltern ihr Kind affektiv spiegeln bzw. halten und somit bei der (Ko-)Regulation der kindlichen inneren Zustände unterstützen können. Das Konzept erwies sich in der empirischen Forschung bereits als ein wichtiger Faktor bei der transgenerationalen Weitergabe von Bindungssicherheit und als ein entscheidender Prädiktor für sensitives mütterliches Verhalten in der Mutter-Kind-Beziehung. Mentalisierungsbasierte Interventionen haben zum Ziel, Eltern durch einen Ausbau dieser Kompetenz die innere Welt ihres Kindes nahezubringen und somit das Verständnis fürs kindliche Verhalten zu fördern. Trotz der bisher belegten klinischen Relevanz findet sich weltweit noch wenig Forschung zu diesem vergleichsweise neuen Konzept. Im Vortrag wird ein Forschungsvorhaben zur Untersuchung elterlicher reflexiven Kompetenz bei Müttern und deren Zusammenhänge zur Mutter-Säuglings-Beziehung vorgestellt, welches im Rahmen des längsschnittlichen Projekts PAULINE (Pränatale Angst und die emotionale frühkindliche Entwicklung) in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) realisiert wird.
Zwei ahnungslose Experten: Fishing als Instrument epistemischer Kooperation in der Psychotherapie
Franziska Jahnert
Aus zwei Perspektive schauen Therapeut und Patient gemeinsam auf die Erfahrungen des Patienten und versuchen, ihre Beschreibungen dessen zusammenzuführen. Um sich wie beim binokularen Sehen gegenseitig zur Tiefenwahrnehmung zu verhelfen, sind wichtige interaktive Kooperationsleistungen erforderlich. Mithilfe der Konversationsanalyse und anhand von Transkripten authentischer Therapiegespräche verschiedener Ausrichtungen schaue ich auf der Mikroebene der Interaktion, wie Therapeut und Patient sich gegenseitig dazu verhelfen, ihr jeweiliges Expertenwissen im Gespräch miteinander zu verbinden. Dabei steht die Reziprozität als verbindendes Interaktionsmoment im Interessenfokus, um im Besonderen zu illuminieren, wie Vermutungen und Interpretationen des Therapeuten als indirekte Fragen verschiedene Antwortreaktionen im Patienten auslösen.
And the beat goes on - Aspekte von Rhythmus und Tempo in therapeutischen Gesprächen
Aniko Zeisler
„I'm hooked on a feeling, (…)“ (Blue Schwede) – vermutlich jeder kennt es. Man hört wenige Töne im Radio und weiß sofort, wie das Lied weitergehen wird. Menschen erkennen Rhythmen und Akkorde wieder und sind imstande neue Melodien zu improvisieren. Der Improvisation von Musik liegt, wie in der Konversation, ein harmonisches Gerüst zugrunde, das als Maß für Stimmigkeit dient. Es bildet eine gewisse Imagination davon, wie der Rhythmus weitergehen kann. Auch im therapeutischen Gespräch müssen sich Therapeut und Patient taktvoll aufeinander einstimmen. Prosodie und Rhythmik des Hörers ändern sich mit, wenn es den Sprecher gelungen ist, einen Common Ground herzustellen. Rhythmus, Sprechrate und Lautstärke geben kontextualisierende Hinweise, die uns beim Verstehen helfen. Sprechen (talk) ist ein Event in der Zeit. In welchem Verhältnis steht der Rhythmus des Sprechens beim Therapeuten und dem des Patienten steht? Hier soll versucht werden, Dichte, Relevanz und die Sprechrate zu errechnen und in verschiedenen Gesprächssituationen zu vergleichen.
* PV 1.8 – Weimarhalle, Flügelsaal 2
Klinische Fragestellungen
Moderation: Dorothee Adam-Lauterbach
14:30 – 18:00 Uhr
„Ich will meine kostbare Zeit nicht verkürzen…“ – Hans Loewalds Gedanken zum Zeiterleben am Beispiel einer Behandlung einer regressiven Patientin
Ruth Becker
Ein gestörtes Zeiterleben und ein von unbewusstem Protest geprägtes Verhältnis zum Vergehen der Zeit an und für sich kann ein Symptom sein, welches entwicklungspsychologisch auf das problematische frühe Beziehungserleben verweist, für den betroffenen Menschen erhebliches Leiden nach sich zieht und somit eine analytische Therapie notwendig machen kann. Diese Therapie steht dann allerdings vor erheblichen Schwierigkeiten. Wie begegnen wir im intersubjektiven psychoanalytischen Prozess der entschlossenen Weigerung, das Verstreichen der Zeit und damit auch das Vergehen potentieller Möglichkeiten in irgendeiner Form anzunehmen? Ist Verleugnung der Vergänglichkeit der Zeit (und damit der Wiederholungszwang) eher zu verstehen als ein Abwehrprozess oder als notwendiger Verteidigungsversuch eines unvalidierten Erfahrungsmodus, in dem Phantasie und Wirklichkeit sich gegenseitig durchdringen?
Einen hilfreichen Beitrag könnten vielleicht einige Gedanken von Hans Loewald bieten. Sein Konzept von der Zeit als dem inneren Gewebe des Psychischen und die Idee, dass ein Mensch im Spannungsfeld von Primär- und Sekundärprozesshaftem gleichzeitig eine Geschichte hat und seine Geschichte ist, greift Freuds Polarität von „Eros und Thanatos“ auf und soll mithilfe eines Fallbeispiels einer Patientin mit maligner Regression in diesem Vortrag beleuchtet werden.
Intrapsychische Megalomanie als eine Form der Rebellion gegen Endlichkeit – konzeptuelle Überlegungen und klinische Illustration
Claudia Frank
„Im Gegenteil, eine Wertsteigerung!“, so Freuds emphatischer Einwand gegenüber einem jungen Dichter, der beim gemeinsamen Spaziergang die Schönheit der Natur bewunderte, aber nicht genießen konnte. Für den Dichter entwertete die Vergänglichkeit des Schönen diese selbst. Freud reagierte sozusagen komplementär und versuchte, den jungen Mann vom Gegenteil zu überzeugen. Er argumentierte mit dem Seltenheitswert in der Zeit, mit der Wiederkehr und ggf. Ersetzbarkeit durch Besseres und Schöneres. Vermochte der Dichter den Schmerz der Trauer nicht zu ertragen, bot Freud – so eine Lesart – ihm eine manisch anmutende Position an. Ich denke, wir kennen das alle nur allzu gut aus unserer Praxis: wie wir unversehens in einer maniformen Haltung Gewissheit finden und (scheinbar) gute Gründe gegen Überdruss, Depression und Verzweiflung aufführen … So wie Freud bei seinem Dichter erfolglos blieb, so wissen wir – realisieren wir unser Agieren –, dass dieses Argumentieren Ausdruck einer Sackgasse ist.
Eine Variante des Tagungsthemas „Rebellion gegen die Endlichkeit“ stellt, so meine These, ein ggf. hartnäckiger Rückzug in eine maniforme Position dar. Kann dies – bleibt der Rückzug vorübergehend und flexibel – eine Station einer Entwicklung darstellen, so hindert er als fixierte Verfassung seelisches Wachstum. Es gilt u.a., Prozesse genauer in den Blick zu nehmen, die sich als „gesundes“ Selbstbewusstsein / Selbstverständnis ausgibt. Dies hat Roger Money-Kyrle in seiner wenig rezipierten Arbeit „Megalomania“ verblüffend klarsichtig analysiert. Money-Kyrles Ansatz, angesichts von Vergänglichkeit, Veränderungen, Trennungen etc. stelle ein Ausweichen in Pseudogenerativität / Pseudokreativität auf dem Hintergrund einer megalomanen Verfassung eine immer bereitliegende menschliche Disposition dar, öffnet m.E. Wege, fruchtbar darüber nachdenken zu können.
Anhand von detailliertem Material aus einer Analyse möchte ich die Herausforderungen mit einem Patienten, der sich bis dato als völlig gesund ansah und auch in seiner Umgebung als besonders tüchtig verkannt wurde, in Übertragung und Gegenübertragung darlegen und untersuchen. Er betonte, er habe noch nie Hilfe gebraucht, habe immer äußerst engagiert andere unterstützt, blieb dabei aber für mich unnahbar und gestattete keinen Zweifel an seiner Sicht der Dinge. Mir hatte sich zwar bereits während der telefonischen Kontaktaufnahme daneben eine große Not vermittelt, nichtsdestotrotz gab es immer wieder Momente, in denen ich nicht wusste, wer hier jetzt eigentlich im Moment „spinnt“: stellte seine Sicht nicht doch eine Rebellion im besten Sinne dar? Oder bedeutete genau dies eine Desorientierung in der Gegenübertragung?
Rebellion gegen die Endlichkeit der Analyse
Jan Ponesicky
Gibt es eine Parallele zwischen der Rebellion gegen die Endlichkeit des Lebens, gegen die sog. „große Trennung“ und dem Kampf gegen das Ende der Analyse?
Falls dem so ist, müsste man sich zuerst damit beschäftigen, warum der Mensch gegen den Tod rebelliert und ob man die größtenteils übermäßige Angst davor überwinden oder lindern könnte. Erst dann könnten wir uns damit befassen, ob Patienten sowie Analytiker aus denselben Gründen Angst vor der Beendigung der Analyse haben, gegen ihr Ende rebellieren und wie man diese Ängste überwinden kann.
Die Tatsache, dass der Tod eine Trennungs- und Verlustproblematik darstellt, liegt auf der Hand. Ich möchte hier jedoch in den Mittelpunkt stellen, dass eine sehr große Angst vor dem Tod unbewusst zur Folge haben kann, dass man versucht den Fluss des Lebens anzuhalten, man Angst hat voll und frei zu leben, sich dem Lebensfluss zu stellen, ja hinzugeben, da dieser im Tod mündet. Wenn ein Mensch jedoch das eigene Leben intensiv lebt, mit Liebe ausfüllt und sinnvoll vollendet, dann kann er – paradoxerweise – ruhiger von der Welt Abschied nehmen.
Hängt also die Rebellion gegen das Ende der Analyse mit der beiderseitigen Befürchtung zusammen, nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben? Entsteht etwa eine omnipotente intersubjektive Phantasie, die auf Vollendung wartet? Um sich davon zu befreien, müsste sich der Analytiker eine bescheidenere Haltung aneignen und sich sogar für die Möglichkeit seines Scheiterns öffnen.
Des Weiteren habe ich die Erfahrung gemacht, wie die therapeutische Situation auf diese Thematik beidseitig wirkt. Jeder versucht nämlich den jeweils anderen zur Lösung eigener Probleme zu verwenden. Ich frage mich: soll so auch der unbewusste Wunsch des Analytikers, die eigene oder durch die Analyse angesprochene Problematik zu lösen, erfüllt werden? Ist das sogar die Bedingung einer gelungenen Analyse?
Ferner wird darauf hingewiesen, dass die Auflösung/Überwindung/Bearbeitung beiderseitiger Übertragungen zur Folge hat, dass man sich unvoreingenommen wahrnimmt, das heißt authentisch begegnen kann...davor können sowohl Patienten als auch Therapeuten Angst haben, obwohl sie sich selbiges gleichwohl wünschen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Rebellion gegen die Endlichkeit der Analyse nicht nur auf Trennungs- und Verlustangst zurückzuführen ist. Beide Parteien rebellieren auch deshalb gegen das Ende der Analyse, weil sowohl beim ihnen selbst als auch beim Analytiker nicht alles analysiert und bearbeitet wurde.
„Aber ich hab doch noch so viele Träume!“ Formen der Rebellion gegen körperliche Veränderungen, Begrenzungen und Tod im Alter. Beobachtungen aus der psychoanalytischen Praxis
Christiane Schrader
Der Titel des Vortrags, greift die Bemerkung einer meiner älteren Patientinnen auf. Sie hatte sich, damals Mitte 60, an mich gewandt, weil sie in der Folge einer Krebserkrankung, die sie mit dem Tod konfrontierte wie auch mit einem bisher abgewehrten Partnerschaftskonflikt, depressiv geworden war. Zudem hatte die Abwehr transgenerationell vermittelter, familiärer traumatischer Erfahrungen ihre gesunden rebellischen Impulse schwer gehemmt.
Von diesem Fallbericht ausgehend, möchte ich die Bedeutung, die der Körper, als Garant unserer Vitalität wie unserer Begrenztheit und Endlichkeit, für die Entwicklung im Alter hat, diskutieren.
Körperliche Veränderungen konfrontieren unausweichlich mit Begrenzung und Tod und geben Anlass zur Rebellion aufgrund narzisstischer Wut, die mit diesen Kränkungen einhergeht. Die Entwicklung im Alter zeigt, dass Freuds Diktum, dass unser Ich vor allem ein Körperliches ist, keineswegs nur auf unsere frühe Entwicklung zutrifft. Auch der Tod sickert über unseren Körper und unsere intergenerationelle Bezogenheit in uns ein. Nach einem Rekurs auf altersbedingte körperliche Veränderungen und das Körpererleben im Alter, wird die Präsenz des Körpers in der therapeutischen Situation und in der Dynamik von Übertragung und Gegenübertragung thematisiert, der bei älteren Patient_innen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss.
* PV 1.9 – Weimarhalle, Kleiner Saal
Psychonalayse und Film
Moderation: Katharina Leube-Sonnleitner
14:30 – 18:00 Uhr
Vom Verlust zur Freiheit
Film: L’Avenir, (Alles, was kommt), F 2016
Originalfassung mit deutschem Untertitel
Katharina Leube-Sonnleitner
L’Avenir, (Alles, was kommt), F 2016, B und R: Mia Hansen-Love, K: Denis Lenoir,
D: Isabelle Huppert, Edith Scob, Andre Macron, Roman Kolinka
In diesem Filmkunstwerk, das 2016 mit dem Silbernen Bären der Berlinale ausgezeichnet wurde, zeigt die junge französische Autorenfilmerin Mia Hansen-Love, wie ein bisher geordnetes Leben durch keineswegs außergewöhnliche Umstände aus den Fugen gerät. Die Philosophielehrerin Nathalie, deren Weg der Verarbeitung schwerwiegender Verlusterlebnisse wir im Verlauf eines Jahres folgen, wird brilliant verkörpert durch Isabelle Huppert, deren ebenso zurückhaltendes wie intensives Spiel gänzlich „anti-psychologisch“ der Figur ihr Geheimnis und uns unsere Imagination lässt. Der Subtext der Vergänglichkeit – der Protagonistin durch die philosophische Betrachtung der Grundtatsachen des Lebens theoretisch von jeher vertraut – wird schlagartig aktuell und unabweisbar. In elliptischer Erzählweise folgt der Film dem Fluss des Lebens einer Frau, die in einer zerbröckelnden Existenz die Fassung wahrt, und zeigt Mechanismen des psychischen Überlebens, bei denen nicht nur die Bindung an wichtige Andere, sondern auch geistige Leidenschaften, die das Innere mit Sinn erfüllen, eine entscheidende Rolle spielen. Natur und Kultur versinnbildlichen in dem schön fotografierten Film als Metaphern die Erschütterung durch eine existentielle Krise und deren Überwindung.
* PV 2.0 – Seminargebäude, Raum 4
Onkologie, Palliativmedizin
Moderation: Caroline Meller
14:30 – 18:00 Uhr
Psychotherapie mit der Endlichkeit
Wolfgang Krieger
Onkologische Diagnosen konfrontieren die betroffenen Menschen mit der realen Gefahr der Endlichkeit des Lebens, die im Alltag oft verdrängt wird. Die verbesserte medizinische Behandelbarkeit trägt bei zu verschiedenen Verlaufsformen (kurativ, chronisch oder palliativ). Das traumatische Erleben in den unterschiedlichen Krankheitsphasen führt häufiger zur Nachfrage nach psycho-onkologischen Behandlungen. Psychodynamische Behandlung von Krebskranken findet statt zwischen den Polen der Resignation und der omnipotenten Selbstüberschätzung. Nach einem Impulsreferat zu meinen Erfahrungen mit Psychotherapien mit an Krebs erkrankten Menschen sollen die Teilnehmer/innen der Arbeitsgruppe ihre diesbezüglichen eigenen Erfahrungen und Überlegungen diskutieren. Modifikationen und Grenzen psychodynamischer, psycho-onkologischer Therapien und Probleme im Übertragungs-/ Gegenübertragungsgeschehen werden besprochen.
Vergänglichkeit: Welche Chancen eröffnet die Psychoanalyse am Lebensende?
Eckhard Frick
Sigmund Freud ist ohne Zweifel der berühmteste Palliativpatient des XX. Jahrhunderts. Max Schur erwähnt den Begriff „palliativ“ zwar in seiner Freud-Biografie, jedoch noch nicht in der Bedeutung, mit der wir heute von Palliative Care als einer interprofessionellen, im guten Sinne „ganzheitlichen“ Aufgabe sprechen. Palliative Care heißt: Begleiten an einer Grenze, bei einem Abschied, der im Unterschied zu Analyseferien keine Fortsetzung nach einer Unterbrechung erwarten lässt. Welche Rolle kann die Psychoanalyse innerhalb von Palliative Care spielen: Im Verstehen der manifesten, durch die Auseinandersetzung mit dem Lebensende geprägten Psychodynamik des Sterbenden, aber auch mit unbewussten Motiven, die sich häufig symbolisch ausdrücken, im Verstehen der Bindungs- und Familiendynamik, in der Supervision von Teamprozessen?
16:00 – 16:30 Uhr
Pause für alle Veranstaltungen am Samstag
Sonntag, 17. September
Weimarhalle Großer Saal
Moderation: Ingrid Moeslein-Teising
09:30 – 10:30 Uhr
Gefühle altern nicht
Gereon Heuft
Für eine gelingende Psychodynamische Psychotherapie Älterer ist entscheidend, dass die gleichen Grundannahmen wie für Menschen im mittleren Lebensalter gelten: die mögliche pathogene Bedeutung repetitiv-dysfunktionaler Konflikte im Zusammenspiel mit einer möglichen strukturellen Vulnerabilität (Achse II und IV der OPD-2). Ergänzend wird das Modell einer empirisch abgesicherten psychodynamischen Entwicklungspsychologie über den gesamten Lebenslauf vermittelt. Dieser entwicklungspsychologische Ansatz erlaubt mit Hilfe einer dreifach gliederten Typologie das Verständnis für einen Symptombeginn jenseits des 60sten Lebensjahres: (1.) Durch eine „späte“ Auslösesituation; (2.) durch einen (Aktual-)Konflikt im Alter aufgrund der Auseinandersetzung mit dem körperlichen Alternsprozess als einer neuen Entwicklungsaufgabe im Alter und (3.) durch eine Traumareaktivierung im Alter. Die Gruppe über 60-Jähriger mit einem späten Symptombeginn hat bei entsprechender Motivation eine genauso gute Prognose wie Menschen im mittleren Erwachsenenalter, da nicht das „Alter des Patienten“, sondern das „Alter der Störung“ über die Prognose entscheidet. – Entsprechende Hinweise für eine psychodynamisches Fallverständnis setzen sich auch mit der Eigenübertragung des Therapeuten auseinander, einem der zentralen Gründe für die immer noch bestehende Indikationszensur der ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten für ältere Patienten.
10:30 – 11:00 Uhr
Pause
11:00 – 12:00 Uhr
Entgrenzte virtuelle Welten. Lustvoller Genuss oder Affektabwehr, „milde Narkose“ oder Rebellion gegen die Begrenztheit.
Michael Günter
Die modernen Medien erzeugen virtuelle Welten, deren Charakteristikum vor allem eine Entkörperlichung und eine Entgrenzung ist und deren Auswirkungen in einer Zerstreuung im doppelten Sinne gesehen werden: Zerstreuung im Sinne einer zumindest gedacht genussvollen Ablenkung von der Realität des Alltags, Zerstreuung aber auch im Sinne einer Beliebigkeit und ständigen Verfügbarkeit der Beziehungs- und Identifikationsangebote. Kinder und Jugendliche nutzen diese Angebote vielfach in spielerischer Weise. Das Spiel in der virtuellen Welt kann je nach bewusster und unbewusster Motivation Fantasie und Symbolisierungsprozesse befördern und dadurch Triebe und Affekte psychisch repräsentieren und organisieren. Die philobatischen „freundlichen Weiten“ der virtuellen Bildwelten sprechen speziell Jugendliche stark an und bieten ihnen Erfahrungsräume jenseits als einengend und gefährlich empfundener libidinöser Objektbeziehungen. Diese „freundlichen Weiten“ der virtuellen Realität können jedoch ebenso zur Abwehr von Denkprozessen und Affekten Verwendung finden, mit der Gefahr, dass das Spiel im pathologischen Wiederholungszwang erstarrt. Schließlich disziplinieren sie auch Bedürfnisse und richten sie auf ihre kommerzielle Verwendbarkeit zu. Bildwelten anstelle von Sprachwelten, ständige Verfügbarkeit und das subjektive Erleben eigener Wirkmächtigkeit stellen jenseits pathologischer Prozesse neue Identifikationsmöglichkeiten zur Verfügung und verändern psychische Strukturen bei uns allen. Es ist an uns, die Faszination dieser neuen Welten und ihre schillernde Bedeutung für die Entwicklung der kindlichen Psyche besser verstehen zu lernen.
12:00 – 13:00 Uhr
Jenseits der Zeit. Berührungen der Psychoanalyse mit dem Unendlichen
Christa Rohde-Dachser
Vorstellungen von Unsterblichkeit sind dem menschlichen Denken inhärent. Schon der Begriff der Endlichkeit verweist ungeachtet aller anderslautenden Erfahrungen auf etwas, das diese Endlichkeit übersteigt, so wie Liebeserfahrungen ihren Sinn verlieren, wenn sie nicht mit der Vorstellung von Ewigkeit verbunden sind.
Der Vortrag geht den Spuren nach, die diese, in der frühen Mutter-Kind-Beziehung verankerten Erfahrungen in der Theorie der Psychoanalyse hinterlassen haben und auch die Beziehung zwischen Analytiker und Patient auf spezifische Weise tönen.
13:00 – 13:15 Uhr
Verabschiedung
Im Anschluss:
Ausgabe der Zertifizierungen
Die Zertifizierung der Jahrestagung wurde als Fortbildungsveranstaltung gem. § 95 d SGB V bei der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer mit 12 Punkten akkreditiert.
Entsprechende Teilnahmebescheinigungen erhalten Sie am Ende der Tagung gegen Abgabe Ihres persönlichen Barcode-Aufklebers oder nach Eintragung in die Unterschriftenliste im Tagungsbüro.